Der Frühling unseres Unkrauts

»Wie Corona die Brennnesseln lieben lehrte«


Wir alle werden einige besondere Erinnerungen aus dem Frühjahr 2020 mitnehmen. Für mich, wie für so viele andere, hieß es mehr Homeoffice, weniger reisen, zu Hause bleiben, Abstand halten. Ich hatte plötzlich etwas mehr Zeit, um zu sehen, zu erleben und zu genießen. Ganz unspektakulär etwa Wildkräuter aus meinem Garten. Dieses grüne Wohnzimmer ist ein Ruhe- und Rückzugsraum für uns und viele tierische Mitbewohner von Fledermaus bis Glühwürmchen. Wer uns besucht, bekommt auf den fragenden Blick meine Standarderklärung „Unkraut kann ich am besten“. Unkraut blüht und duftet, ist Augenweide und Nahrungsquelle, und das auch für uns Menschen, wenn wir wollen.

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Kulinarisches Potenzial


Seit mein Mann und ich 2013 in ein Umgebindehaus im Grünen gezogen sind, bin ich immer auf Entdeckungen aus. Meine Liebe zu gutem Essen und meine Liebe zur Landschaft haben mich neugierig gemacht auf das, was vor der Haustür liegt und was man, gerade darum (?), nicht so gut kennt. Mein Korb voll Glück ist eine Idee, ein Wunsch und eine Vision: die Lausitz mit alle ihren kulinarischen Potenzialen kennenzulernen und so vielen Menschen wie möglich davon zu berichten. Entstanden ist diese Idee da, wo viele gute Ideen entstehen, in der Küche. Der banale Pfannkuchen ist eine Geschichte im Ganzen. Milch direkt ab Hof, Mehl aus der Mühle, der Honig kommt vom Imker im Nachbardorf und die Eier kann ich bei einer netten Nachbarin holen, deren Hühner das maximale Lebensglück genießen, das mit Scharren auf dem Misthaufen zu erlangen ist. Jedes Gericht, so ist mir nach einer Weile aufgefallen, ist aufgeladen mit Geschichten und Anekdoten, Tipps und Vorschlägen. Erzählungen von Fülle, Vielschichtigkeit, gelungenen Ideen, kleinen Nischen und vor allem Geschichten über Menschen.

Wenn wir wüssten, was wir alles wissen, dann wären wir sehr reich. Habe ich den Satz mal von einer meiner Großmütter gehört? Er ist jedenfalls so wahr wie vieles, was kluge Frauen weitergeben. Wenn wir wissen, was wir haben, können wir es nutzen und schätzen lernen. Wenn sich die vermeintlich leere Karte um uns mit Anregungen und Möglichkeiten füllt, ändert sich auch der Blick. Der Blick, mit dem wir unsere Umgebung betrachten, und vielleicht auch der Blick, den Menschen aus anderen Regionen auf die Lausitz haben. Ich habe meinen Korb voll Glück Schritt für Schritt aufgebaut mit dem, was ich erfahren habe und was ich weitergeben möchte. Wir haben das so sprechende Wort Lebens-Mittel. Unsere Nahrung ist kein beliebiger Treibstoff für einen Motor, sondern eine köstliche Bereicherung unseres Lebens. Die Menschen, die diese Lebensmittel herstellen, sollten wir kennen und ihre Arbeit schätzen. Ich suche immer nach Möglichkeiten, die Vielfalt auch praktisch Menschen zugänglich zu machen. Die durch Corona gewonnene Zeit habe ich daher auch genutzt, um eine Marktschwärmerei für Zittau ins Leben zu rufen. Diese innovative Verbindung von Online-Handel und traditionellem Wochenmarkt macht es leicht, saisonale Lebensmittel von den Direktvermarktern zu bekommen. Fair und transparent, direkt und persönlich, so möchten wir einkaufen, aber eben auch unkompliziert und alltagstauglich.

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Um Unkraut als kulinarischen Reichtum zu sehen, braucht man ein bisschen Übung und Zeit, was ich durch die Corona-Wochen hatte. Wenn die Konzentration weg-ge-zoomt war, habe ich im Garten den Korb mit köstlichsten Unkräutern für das Mittagessen gefüllt. Brennnesseln, Knoblauchrauke und Giersch sind Frühlingsbegleiter in den Sommer. Zu Beginn zart als Salat, dann kräftig wie Spinat und später ein wenig an feinen Grünkohl erinnernd, habe ich sie im Wortsinn genossen. Wir leben mitten in einer essbaren Landschaft und auch das Unscheinbare ist wertvoll, wenn wir wissen, wie damit umzugehen ist.


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Naturheilkunde trifft Kulinarik


Mein Wildgemüsefrühjahr wollte ich gern teilen und mehr erfahren. Das Beste am Korb voll Glück sind die Begegnungen und das Lernen von anderen Menschen. So habe ich auch Kräuterkundige kennengelernt, die ihr Wissen mit Interessierten teilen, so wie Christine Cieslak. Wir haben uns rasch gefunden, weil wir gleiche Interessen teilen und die Vernetzung uns hier im ländlichen Raum leichtfällt. Das Potential der Pflanzen am Wegesrand ist ein ideales Thema, um Naturheilkunde und Kulinarik zusammenzubringen. Daher habe ich Christine gebeten, einen Text über Wildkräuter zu schreiben, und sie zu einem kulinarischen Spaziergang eingeladen. Begleitet hat uns Tine Jurtz, eine Fotografin und Lausitz-Rückkehrerin, die unsere gemeinsamen Eindrücke festgehalten hat.

Wenn wir zu Fuß oder mit dem Fahrrad durch unsere Heimat Oberlausitz unterwegs sind, begleiten uns viele Wildpflanzen am Wegesrand. Wildpflanzen suchen sich ihren Platz und kommen und gehen. Unter ihnen befinden sich viele, die wir essen können oder die als Heilpflanze nutzbar sind. Über all die Jahre meiner Beschäftigung mit Kräutern als Heilpraktikerin in eigener Praxis und bei Führungen mit Christine habe ich beobachtet, dass jedes Jahr andere Wildpflanzen besonders stark aus der Natur hervortreten. Dieses Frühjahr 2020 hat sich hauptsächlich die Knoblauchrauke ausgebreitet.

Wenn wir die Lieblingsstandorte der Pflanzen kennen, führt unser suchender Blick bei den Spaziergängen uns zu den Standorten. Die sogenannten Ruderalpflanzen wie die Brennnessel oder der Giersch lieben den Menschen und wachsen gern dort, wo der Mensch die Natur durcheinandergebracht hat, und „regenerieren“ den Boden. Besonders an der Brennnessel und dem Holunder ist das gut zu beobachten. Das macht es uns auch manchmal schwer, die Pflanzen zu sammeln. Aber wenn wir bei unserem Streifen durch Garten und Natur die Plätze kennen und wissen, dass dort keine Hunde regelmäßig pinkeln und Unrat entsorgt wird, oder die Wildwuchsecken im Garten haben, dann empfehlen wir die Pflanzen zu sammeln und zu nutzen. Nutzen können wir sie in unserer Nahrung oder als Heilpflanzen für Tees. Eine gesunde Ernährung ist ein Grundpfeiler unserer Gesundheit. Meine Empfehlungen hier ersetzen keinen ärztlichen oder heilpraktischen therapeutischen Rat oder eine Behandlung.


Wildpflanzen sammeln ganz ohne Garten


Aber warum empfehlen wir gerade die Wildpflanzen? Einmal für die Menschen, die den Wildgarten bevorzugen und nicht viel Zeit für den Gemüseanbau haben und auch für die Menschen, die keinen eigenen Garten besitzen. Wenn wir die Pflanzen selbst suchen und sie sich von uns finden lassen, wenn wir mit Aufmerksamkeit ernten und verarbeiten, dann steckt in der Nahrung viel Energie. Das ist einer der Vorteile. Das erkennen wir unter anderem daran:

Wildpflanzen enthalten mehr Mineralien, Vitamine und andere wertvolle Inhaltsstoffe als Kulturpflanzen.
Beim Sammeln und Verarbeiten von Wildpflanzen lernen wir unsere Umgebung besser kennen. Durch die Beziehung zu den Pflanzen entwickeln wir eine Achtsamkeit für unsere Speisen.
Das Verarbeiten von Wildkräutern ist oft ein wenig mühsamer als das von gekauftem Gemüse, aber es bereitet Freude. Vielleicht können wir darin die Kraft der Langsamkeit entdecken.
Das Verarbeiten von Wildkräutern regt unsere Phantasie an, z.B. durch das Probieren neuer Rezepte.

Wir bereiten Anderen Freude, wenn wir ihnen ein Menü aus Wildpflanzen zubereiten.
Wir drei haben erlebt, wieviel Freude es macht, gemeinsam im Garten und am Wegesrand die Brennnesseln, den Giersch und die Knoblauchrauke zu ernten, zu verarbeiten und zu essen. Die Geschichten der Heilpflanzen wollten erzählt werden und als die Mondviole sich uns in den Weg leuchtete, waren wir ganz eingetaucht in die Kräutermythen.

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Anja Nixdorf-Munkwitz schreibt auf ihrem Blog Ein Korb voll Glück über das Genießen in der Oberlausitz, wo wir regional, saisonal, nachhaltig und fair die Lebens-Mittel dazu bekommen können, und verrät manch ungewöhnliches Rezept aus ihrer eigenen Küche.

Christine Cieslak ist seit 20 Jahren Heilpraktikerin in eigener Praxis mit dem Schwerpunkt Pflanzenheilkunde und bietet Veranstaltungen zum Entdecken der Kräuter über ihren Blog NaturWege an.

Ein Spaziergang in drei Rezepten – mit Teebegleitung

Suppe

Pro Person 1 Hand voll Wildkräuter als Gemüse (Giersch, Brennnessel)
1-2 Kartoffeln
Würzige Kräuter nach Wahl zum Abschmecken: Gundermann, Kresse, Liebstöckel, Majoran, Oregano
Brühe
Saure Sahne
Die „Gemüsekräuter“ in einem Topf mit Butter oder Bratfett anschwitzen, kleingeschnittene Kartoffeln hinzugeben, Brühe aufgießen und bei geschlossenem Deckel 15 Minuten köcheln lassen.

Saure Sahne und Würzkräuter hinzugeben und alles fein pürieren. Abschmecken mit einem Schuss Sojasauce und Sahne.

Hauptgang Pastetchen mit Wildkräuterfüllung (https://ein-korb-voll-glueck.de/pastetchen-mit-wildkraeuterfuellung/)

Pro Person / Portion für die Füllung:

2 Hand voll gemischte Wildkräuter, gern Giersch und Brennnessel, auch Löwenzahn, Vogelmiere oder Melde
1 halbe Zwiebel
1 Knoblauchzehe
Etwas Butter
1 EL Blauschimmelkäse, idealerweise Blue Stilton
Pfeffer, Salz, Muskatnuss
Für den Teig:

Helles, feines Dinkel- oder Weizenmehl
Etwas frische Hefe, etwas Honig
Warmes Wasser
Salz
Ein Ei
Sesam
Zubereitung der Füllung:

Die feinen Blätter von den Stielen lösen, in Salzwasser blanchieren, gut ausdrücken und grob hacken. In einem Topf Butter schmelzen und darin Knoblauch und Zwiebeln anschwitzen und die Kräuter hinzugeben. Dann den Blauschimmelkäse hineinbröseln und alles gut durchmischen, mit den Gewürzen abschmecken.

Zubereitung Teig:

Hefe in etwas Wasser mit Honig auflösen und 5 Minuten stehen lassen. Dann mit dem Mehl und Salz einen elastischen Teig kneten, der nicht mehr klebt und sich gut vom Schüsselrand löst. An einem warmen Ort 1 Stunde abgedeckt gehen lassen.

Zubereitung Pastetchen:

Teig ausrollen und in Vierecke teilen. Jeweils einen EL Füllung auf ein Viereck setzen, den Rand mit verquirltem Ei bestreichen. Die Pastetchen schließen und die Ränder zusammendrücken, mit dem Rest des Eis bestreichen für einen goldenen Glanz und Sesam darauf streuen. Im vorgeheizten Backofen 20 – 30 Min. backen, je nach Größe. Schmecken heiß und kalt.

Snack Brennnesselchips https://ein-korb-voll-glueck.de/chips-aus-brennnessel-giersch-und-co/

Zutaten für knusprig, aromatische Brennnesselchips mit besonderen Aromen
Pro Person:
zwei Hand voll Brennnesselblätter
2 TL Sesampaste
2 TL Erdnusspaste
2 TL Sesamöl (geröstet)
2 TL Sojasauce

Zubereitung

Alle Zutaten außer den Blättern in einer großen Schüssel mit dem Schneebesen gut vermischen.
Darin die Brennnesselblätter gründlich wenden, so dass alle Blätter mit der Marinade von beiden Seiten bedeckt sind.
Drei Backbleche mit Backpapier belegen und die Brennnesselblätter darauf so ausbreiten, dass sie sich möglichst nicht überlappen.
Die Bleche in einen Backofen schieben, dabei auf etwas Abstand dazwischen achten und dann auf 200 °C Umluft aufheizen.
Mit einem Kochlöffel o.ä. die Tür des Backofens einen Spelt breit auflassen, so kann die Feuchtigkeit besser entweichen.
Trotzdem empfiehlt es sich, die Backofentür von Zeit zu Zeit zu öffnen, um den entstehenden Dampf entweichen zu lassen.
Wenn die Blätter beginnen knusprig zu werden, die Hitze ausschalten und die verbleibende Restwärme zum Trocknen nutzen.
Die Chips sind fertig, wenn sie kross knuspern. Sofort servieren.
Eine bessere Art, Brennnesseln im Garten zu nutzen, gibt es möglicherweise, aber keine schmeckt besser, finde ich.

Tee

Die harten Stiele von Brennnesseln und Giersch sollte man nicht wegwerfen, sondern einen gesunden Tee daraus zubereiten.
Alle harten Pflanzenteile mit einem Liter Wasser zum Kochen bringen und feine Ingwerscheiben hinzugeben. Alles zusammen 20 Minuten köcheln lassen, abseihen. Die lange Kochzeit löst die Inhaltsstoffe perfekt aus. Der Ingwer sorgt für einen feuriges Geschmack und bringt positive Pflanzenstoffe ein.
In den lauwarmen Tee kommen der Saft einer Zitrone und ein Esslöffel Honig zum Abschmecken.
Die Stiele der Brennnesseln enthalten zum Beispiel viel Kieselsäure, für kräftige Haare und Nägel.
Der Zitronensaft behält im warmen Tee alle Vitamine, ebenso wie der Honig alle wertvollen Eigenschaften behält bei unter 40 °C (Rohkostqualität).