Stiller Beobachter im Grenzland

»Ein Interview mit dem Regisseur Andreas Voigt«

Filmemacher Andreas Voigt ist als freischaffender Regisseur und Filmdozent weltweit unterwegs. Eine besondere Beziehung pflegt er zu Polen. Das Land, was ihm zu dem „machte“, was er heute ist. Im letzten Jahr feierte sein neuer Dokumentarfilm „Grenzland“ Premiere. Bei dem diesjährigen Neisse Filmfestival erhielt der Film den „Spezialpreis des Filmverbandes Sachsen“. Für 3mag sprach Patrick Weißig mit Andreas Voigt über seine Arbeit, seine Beziehung zum Nachbarland Polen und sein Blick auf Europa.

Mit dem deinem Film „Grenzland“ nimmst du den filmischen Faden von 1992 auf, als du schon einmal entlang der Oder und Neiße Menschen und Natur porträtiert hattest. Wieso war es dir wichtig, knapp dreißig Jahre später noch einmal auf diese Reise zu gehen?

Der Grund ist meine besondere, meine persönliche Beziehung zu Polen. Mit 19 habe ich in Krakau Physik studiert und dort gelebt, das hat mich entscheidend geprägt. Polen war Anfang der 1980er das pluralistischste Land im Ostblock, der Umgang der Menschen war liberal, ich habe Westfilme in Polen gesehen, die ich in der DDR nie hätte sehen können, es gab wunderbaren Jazz, modernes Theater, ein flirrendes Lebensgefühl.

All das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Und so wollte ich kurz nach 1990 „mein Land“ filmisch besuchen – damals, nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder - wusste keiner wie es weiter geht. Diese Situation wollte ich in meinem Film beschreiben, festhalten. Jahre später wollte ich dann wissen, wie es jetzt aussieht und dachte: „da muss ich wieder hin“.

Was interessiert dich an Polen?

Ich mag die völlig andere Art wie Menschen aufeinander zugehen. In Deutschland ist alles strukturiert – in Polen gibt es eher eine Ambivalenz. Ja, es ist ein sehr kompliziertes Land, aber gleichzeitig ist alles möglich. Während wir Deutschen mitunter zu Behäbigkeit neigen, haben Polen eine gewisse Leichtigkeit – sie gehen los und „machen“ einfach. Interessant ist dabei auch, dass Polen überall auf der Welt anzutreffen sind – sie waren oft gezwungen sich neu zu erfinden und haben das erstaunlich gut geschafft.

Wirst du in Polen als „deutscher“ Filmemacher wahrgenommen oder spielt die Nationalität keine Rolle?

Wenn man, wie ich, die Sprache spricht, wird man natürlich ganz anders wahrgenommen – Sprache schafft einen ganz wichtigen Zugang. Ich werde damit auch nicht direkt als „deutscher“ Filmemacher wahrgenommen.

Mit dem Abstand der Betrachtung zwischen deinem ersten und zweiten Film über das Leben entlang der Grenzflüsse – was hat sich in dieser Zeit am meisten verändert? Was hat dich vielleicht sogar überrascht?

Die Landschaft, aber auch die Dörfer und kleineren Städte haben sich in Polen und in Deutschland extrem gewandelt. Hier wurde viel Geld in die Infrastruktur gesteckt. Aber auch unter der „Oberfläche“ gibt es Veränderungen. Ich nehme diese Landschaft als Landschaft für „Pioniere“ wahr. Für neue Menschen, die hier nun wohnen und was „anderes“ versuchen. Das hat mich zum Teil auch überrascht.

Und natürlich wandern auf der deutschen Seite der Grenze auch heute noch viele junge Leute ab. Gleichzeitig gibt es zum Beispiel im Raum um Stettin auf der deutschen Seite kleine Dörfer, die nur noch am „Leben“ sind, weil inzwischen Polen dort wohnen und ihre Kinder in die Schulen und Kindergärten gehen. Das ist eben der Vorteil von Europa. Das war bei meinen ersten Film 1991/92 nicht absehbar.

Im September dieses Jahres gab es bereits während des Neisse Filmfestivals ein Screening deines Filmes in Sieniawka (Pl). In der Kulturscheune „Zielone Wiosła” mit großer Leinwand und äußerst interessiertem Publikum. Im Anschluss des Filmes kamst du schnell mit den Gästen ins Gespräch, auf Polnisch natürlich. Wie nimmst du diese Diskussionen wahr?

Absolut positiv. Das Publikum hat genau verstanden und gefühlt, was in meinem Film wichtig ist. Wir kamen ernsthaft und sehr konkret in Gespräch. Das war eine sehr schöne Erfahrung. Leider war es bislang (außer beim Film Festival in Krakau) die einzige Filmvorführung in Polen. Ich hoffe sehr, dass der Film auf polnischer Seite noch öfter gezeigt werden kann.

In einer Rezension der „Zeit“ heißt es u.a. „Andreas Voigt ist ein Meister der sprechenden Miniatur. Seine größten Gaben sind Geduld und Empathie. Er schließt die sogenannten kleinen Leute auf“, ich finde diese Beschreibung trifft es. Wie gelingt dir das, wie kommst du mit Menschen ins Gespräch?

Das Wichtigste ist eine gute Recherche. Ich muss Menschen finden und mit ihnen sprechen. Sie erzählen ihre Geschichte, aber entscheidend ist, wie sie das machen – sie müssen die Fähigkeit haben dies emotional zu tun. Als Dokumentarfilmer habe ich ja keine Schauspieler vor der Kamera, aber sobald die Kamera läuft, „spielen“ die Protagonisten auch, sie spielen sich selbst und das müssen sie können.

Ganz wichtig ist natürlich auch, wie ich auf Menschen zugehe, was mich interessiert ist eben nicht vorrangig die Information, sondern das Emotionale in ihrem Leben. Das ist eine bestimmte Fähigkeit, die kann man auf keiner Filmhochschule lernen.

Historische Veränderungen in Mittel- und Osteuropa sind zentrale Themen deiner Filme. Du hast Europa einmal so beschrieben: „Europa ist eine ganz große Chance, weil es einen Raum beschreibt, in dem wir leben, arbeiten, leben, lieben und hin- und hergehen können. Es gibt keine Grenzen, an denen wir Halt machen müssen.“ – Doch gerade wird diese Grenzenlosigkeit in vielen Ländern in Frage gestellt – was beobachtest du diese Debatten?

Die Welt ändert sich seit dem Zusammenbruch des Ostblocks fundamental. Die Menschen haben Sehnsucht nach Stabilität. Doch wir alle spüren - es ist unsicher. Viele bekommen Angst vor dem Ungewissen. Wir stehen vor gewaltigen technischen und damit einhergehenden sozialen Veränderungen, die Globalisierung – all das bringt große Unsicherheiten mit sich. Die Sehnsucht nach einem Nationalstaat, der das alles regelt und Stabilität geben könnte, wächst – in vielen Ländern, nicht nur in Polen, Tschechien oder den USA.

Dein Film Grenzland erfährt ein großes öffentliches Interesse und Wertschätzung – die Filmkritiker zeigen sich begeistert, er lief bereits auf vielen europäischen Filmfestivals – Nimmst du dies auch so wahr?

Ja, mit dem medialen Echo bin ich sehr zufrieden. Doch „danach“ kommt auch der „Dokumentarfilm-Alltag“ und im Kino sitzen nicht so viele Menschen. Das große Publikum erreiche ich sehr schwer. 100.000 Zuschauer für eine Produktion sind leider eine Utopie, Aber ich bin mit diesem Film unterwegs, begleite ihn, war inzwischen zu einer ganzen Reihe von Filmvorführungen u.a. auch in den USA. Dort lief Grenzland u.a. im renommierten George Eastman Museum

Wie bereits beschrieben, erfuhr dein Film bereits viele öffentliche Aufführungen – was hat dich in den anschließenden Filmgesprächen berührt?

Das große tiefe Interesse bei den anschließenden Gesprächen freut mich natürlich sehr. Die Zuschauerinnen und Zuschauer nehmen die Protagonisten des Films und ihre Geschichten auf eine sehr emotionale Art und Weise wahr.